Emily-Ruete-Platz im Bezirk Hamburg-Nord

© British Libraries, 10606.bb.31

Emily-Ruete-Platz im Bezirk Hamburg-Nord +

Exotisierung des „Orients“

Hannimari Jokinen
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In seinem Buch „Orientalismus“ analysierte der postkoloniale Theoretiker Edward W. Said eurozentrische Orientbilder und -diskurse. Der Westen imaginiert die arabische Welt als „verführerisch“ und „mystisch“, doch auch als „ahistorisch“ und „rückständig“, als das eben vollkommen „Andere“ – während sich der Okzident als „aufgeklärt“, „rational“ und „zivilisiert“ gibt. Nach Said schuf das tief im westlichen Denken verankerte Überlegenheitsgefühl ein Machtverhältnis und lieferte damit die Legitimation für die Kolonisation der vorderasiatischen Länder. [1]

Orientalisierender Buchumschlag der „Memoirs of an Arabian Princess“, britische Edition aus dem Jahr 1888. Foto: British Libraries, 10606.bb.31.

Das in der Kolonialzeit auf den Markt gebrachte Buch „Memoiren einer arabischen Prinzessin“, das Emily Ruete für ein westliches Lesepublikum schrieb, bediente sich eben solcher Orient-Klischees. Bereits in der zweiten deutschen Ausgabe (1886) zeigte der Umschlag den Palast Beit el-Sahel an der Wasserfront der Sansibar Stone Town, in dem sich der Harem des Sultans befand. Ein Dickicht von südlichen Pflanzen im Vordergrund bilden eine Art voyeuristisches Guckloch, so die Literaturwissenschaftlerin Kate Roy in ihrer Bildanalyse. In den folgenden Editionen zeigten die Innenseiten der Memoiren wiederholt vermeintliche Aufnahmen von Frauen aus dem sansibarischen Harem, wobei es aber auch teilweise Bilder aus ganz anderen Kontexten waren, etwa aus Algerien oder Ägypten. Im Laufe der Zeit wurde auch die Textfassung von Ruetes Autobiografie vielfach verändert, und das Buch tauchte in Form von Raubkopien auf. Die Herausgeberin der deutschsprachigen Ausgabe von 1989, Annegret Nippa, fasste die zwei Bände zusammen und gab den Memoiren den neuen Titel „Leben im Sultanspalast“. So reihte sich das Buch ein in die seit der Kolonialzeit beliebte Gattung der „Haremliteratur“. Es beflügelte „Tausend-und-eine-Nacht“-Fantasien der westlichen Leser*innenschaft und verkaufte sich gut. Damit verortet Kate Roy die „Memoiren einer arabischen Prinzessin“ irgendwo zwischen Fakt und Fiktion, „ethnografischem Realismus“ und „stilisierter Fantasie“. [2]

Die Editionen von „Leben im Sultanspalast“ zeigen seither auf dem Umschlag eine Aufnahme der Autorin Ruete als „arabische Prinzessin“ Sayyida Salme in traditionell sansibarischer Kleidung. Jessica Rauch erforschte die Ikonographie der fotografischen Aufnahmen, die in einem Hamburger Fotostudio in Szene gesetzt worden waren und die in den verschiedenen Ausgaben von Ruetes Buch im Zusammenhang mit den „Harembildern“ zirkulierten. [3] Die Historikerin fragt danach, ob sich Emily Ruete damit womöglich ihrer eigenen Exotisierung Vorschub leistete. Die Vermarktung der „arabischen Prinzessin“ mit einer „romantischen“, doch „tragischen Liebesgeschichte“ ist ein Vexierbild und kann eben auch umkippen. So war es die deutsche Öffentlichkeit, die sie ihrerseits exotisierte, wie sie in ihrem Buch „Briefe nach der Heimat“ verstört beschreibt. Sie wurde angegafft, ihre Haare wurden angefasst, ihr wurden lästige Fragen gestellt, so dass sie schließlich selbst Opfer des hiesigen Rassismus wurde. Weitere Ruete-Kommentatoren folgten noch klarer erkennbaren kolonialen Zielen. Die „Deutsche Illustrirte [sic] Zeitung“ etwa schrieb im Jahr 1886, ihre Memoiren seien „für das Verständniß [sic] unserer ostafrikanischen Kolonisationspläne [ein] wichtiges Stück Weltgeschichte“. [4]

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fussnoten

[1] Said, Edward W. (2009): Orientalismus, Fischer Wissenschaft: Frankfurt/M.

[2] Roy, Kate (2015): Only the „Outward Appearance“ of a Harem? Reading the Memoirs of an Arabian Princess as Material Text, aufgerufen am 24.4.2021, https://journals.openedition.org/belphegor/611

[3] Rauch, Jessica (2015): Hybride Identitäten. Die Ikonographie der “arabischen Prinzessin“ und “Hamburger Kaufmannsfrau“ Emily Ruete von 1868-1916, Masterarbeit (2015), aufgerufen am 21.4.2021, https://www.grin.com/document/343305.

[4] Roy, Kate / Jäcker, Ursula (2001): Von Sansibar nach Berlin und weiter: 125 Jahre Emily Ruetes Memoiren einer arabischen Prinzessin, Onl



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