Ende 2019 wurde im neuen Finkenau-Quartier in Hamburg-Winterhude der Emily-Ruete-Platz benannt. Diese Benennung löste große Proteste aus, denn Emily Ruete war nicht nur Profiteurin des ostafrikanischen Menschenhandels. Sie verteidigte diesen auch noch in ihrem späteren Leben in Deutschland.
Emily Ruete wurde 1844 auf Sansibar als Sayyida Salme geboren. Ihr Vater war Sayyid Said, Sultan von Sansibar, ihre versklavte Mutter hieß Jilfidan. Sayyid Said besaß 45 Paläste und war Herr über Menschenhandel am Indik; etwa 4000 Versklavte arbeiteten auf seinen Plantagen. Salme erbte Geld, Residenzen und vier Plantagen. Der Hamburger Kaufmann Rudolph Heinrich Ruete arbeitete auf Sansibar für das Handelshaus Hansing & Co., das ebenso von unfreien Arbeitskräften auf den eigenen Plantagen profitierte. [1] Er lernte die 22-jährige Salme kennen, sie wurde schwanger, und die beiden flohen im Jahr 1867 nach Hamburg. Salme ließ sich taufen und nahm den Namen Emily an. Die Familie bewohnte eine Villa in der Wohngegend der Hamburger Oberschicht an der Alster.
In Hamburg wurden drei Kinder geboren, doch dann starb Rudolph Heinrich Ruete bei einem Unfall. Gemäß dem damaligen Hamburger Erbrecht hatten Witwen keine Verfügungsgewalt über das Vermögen ihrer Ehemänner. Emily Ruete lebte in verschiedenen deutschen Städten und versuchte, sich mit Arabisch-Unterricht über Wasser zu halten. Sie war ihr Leben lang bemüht, ihr sansibarisches Erbe, das in die Hände ihres Bruders Sultan Bargasch übergegangen war, zurück zu erhalten.
Das Gebäude des damaligen Hamburger Handelshauses Hansing & Co. in Sansibar Stone Town, in dem Rudolph Heinrich Ruete seinen Arbeitsplatz hatte. Foto: Hannimari Jokinen, 2004.
Emily und Heinrich Ruete mit ihren zwei Kindern Antonie und Rudolph in Hamburg im April 1869. Foto: Wikipedia gemeinfrei.
Die Grabanlage der Familie Ruete und der Kissenstein für Emily Ruete auf dem Ohsldorfer Friedhof. Fotos: Vitavia, 2018, Wikimedia Commons CC BY-SA 4.0.
Als sich die deutsch-britische Konkurrenz in Ostafrika verschärfte, wurde Emily Ruete von Otto von Bismarck für kolonialpolitische Zwecke instrumentalisiert. Der Reichskanzler ließ sie auf einem deutschen Kriegsschiff nach Sansibar reisen, doch Bargasch wollte sie nicht empfangen; zu sehr verstört war er über ihre Konvertierung zum Christentum. Das deutsche Marinegeschwader baute vor der Küste eine Drohkulisse gegen den Sultan auf und zwang ihn, die deutschen Gebietsansprüche zu akzeptieren. Nach der Inbesitznahme der Kolonie Deutsch-Ostafrika schenkten die deutschen Behörden Emily Ruetes Eigeninteressen keinerlei Beachtung mehr. Bargash wurde vom britischen und deutschen Kolonialregime entmachtet, hierzu trug auch wesentlich der sogenannte Freundschaftsvertrag mit Hamburg bei. Emily Ruete hielt sich später in Beirut, Libanon und Jaffa auf. Sie starb 1924 in Jena.
Mit 42 Jahren veröffentlichte Emily Ruete ihre Autobiografie „Memoiren einer arabischen Prinzessin“. Mit einer orientalisierenden Umschlagsgestaltung und exotisierenden Illustrationen verkaufte sich das Memoirenbuch sehr gut. [2] Später kam ihr Buch „Briefe nach der Heimat“ heraus.
Sansibar als Drehscheibe des Menschenhandels am Indischen Ozean
Mitte des 19. Jahrhunderts hatte Salmes Vater das omanische Sultanat auf der Insel Sansibar etabliert. Große Gewinne brachte der Karawanenhandel mit Elfenbein. Doch die Abschlachtung ließ die riesigen Elefantenpopulationen fast aussterben. Der Elfenbeinhandel ging einher mit der Versklavung von Menschen, die die Elefantenstoßzähne an die Küste tragen mussten. Der Fußweg auf den Routen dauerte Monate, wenn nicht Jahre, unterwegs starben etwa dreiviertel der Deportierten. Weite Regionen im Landesinneren wurden vollständig entvölkert. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahm der Menschenhandel enorm zu, was mit dem Massenkonsum in westlichen Ländern zu tun hatte. Konsumgüter aus fernen Ländern konnten sich jetzt immer mehr Menschen in Europa leisten.
Eine Sklavenkarawane auf dem Weg zur ostafrikanischen Küste um 1865. Bild: Wikipedia gemeinfrei.
Elfenbeinhandel in Ostafrika um 1885. Foto: Wikipedia gemeinfrei.
Sansibar wurde ein Zentrum des Versklavungshandels. Etwa 50.000 Menschen wurden jährlich dorthin deportiert. Direkt hinter dem Sultanspalast auf dem Markt wurden täglich 200-300 Versklavte gehandelt. Viele von ihnen wurden weiter nach Persien, Indien und dem Oman sowie zu den europäischen Kolonien am Indik verkauft. Auf Sansibar gab es konstant etwa 100.000 versklavte Plantagenarbeiter. Die durchschnittliche Zahl der Arbeiter (meistens Männer) lag je Plantage bei 500. Durch Erschöpfung und Prügelstrafen starben jährlich etwa 30 % von ihnen. [3] Neben Plantagenarbeitern wurden in Ostafrika vor allem junge Frauen als Zwangskonkubinen oder Dienstpersonal gehandelt. Am Menschenhandel beteiligten sich Araber, Perser, Inder, Afro-Araber, Afrikaner und Europäer. Der Versklavung fielen allein am Indischen Ozean schätzungsweise 12 Millionen Menschen zum Opfer.
Sayyida Salme besaß vier Gewürznelkenbaumplantagen. Sie beschäftigte also konstant etwa 2000 versklavte Arbeiter Bei einer Todesrate von 30 % musste sie entsprechend für einen jährlichen Nachschub von 600 Arbeitern sorgen.
Emily Ruete schreibt über Versklavung
In ihren Büchern schreibt Emily Ruete über die Versklavung und Prügelstrafe:
"Es ist doch verwunderlich, mit welch geringer Objektivität man in Europa über die Sklaverei urteilt. (...) Als ob unsere Feld- und Haussklaven sich nur die Hälfte so anzustrengen brauchten wie die sogenannten freien Menschen bei der Berg- und Fabrikarbeit in Europa! (...) Was die Prügelstrafe bei den N. [4] betrifft, so kann man darüber allerdings verschiedener Ansicht sein. Dieselbe aber völlig zu verwerfen, wagen selbst einsichtige Europäer nicht. (...) anders steht es hier im Norden mit der so groß gezüchteten Humanitätsschwärmerei, denn für einen solchen Kultus ist der zumeist praktisch und nüchtern veranlagte Orientale nur wenig empfänglich." [5]
„Die Abessinier sind überhaupt geweckte Leute, und wir kauften sie immer besonders gerne und bevorzugten sie vor den N.“ [6]
„Der N. liebt vor allem Bequemlichkeit (...); so bedarf es der strengsten Kontrolle (...) Unter diesen Umständen bleibt nur ein heilsames Auskunftsmittel: die Prügelstrafe.“ [7]
Nicht ohne Rassismus beschreibt sie auch den Harem:
„Die schönen und kostspieligen Tscherkessinnen [wie sie eine selbst war; Anm. H. J.], die sich ihres besonderen Wertes recht bewusst sind, wollen nicht mit den kaffeebraunen Abessinierinnen zusammen essen. So kam es, dass jede Rasse, einer gewissen stillschweigenden Vereinbarung zufolge, für sich speist.“ [8]
Die Sultansfamilie unternahm häufig Ausflüge zu den Plantagen. Hunderte aus der Dienerschaft fanden sich zusammen, um die Verpflegung dorthin zu tragen. Dann setzte sich die vielköpfige Familie in Bewegung:
„Die zarten, schwächlichen Eunuchen sind (...) beritten, während die stämmigeren N.sklaven zu Fuß nebenher laufen (...) Die schneeweißen Esel (...) gewähren einen höchst malerischen Anblick. Steigt die Sonne höher, dann hat jede vornehmere Dame einen solchen Schnellläufer zur Seite, der (...) mit einem großen aufgespannten Schirm seine Herrin gegen die zu große Sonnenglut zu schützen sucht..“ [9]
Das Schicksal der Eunuchen war alles andere als malerisch. Viele der 9- bis 12-jährigen Jungen, die den Fußmarsch aus dem Landesinneren gerade überlebt hatten, wurden an der Küste schlichtweg kastriert. Die meisten von ihnen verbluteten, einige wenige überlebten und wurden dann auf Sansibar teuer verkauft. [10]
Als es 1888 an der Swaheli-Küste zu einem antikolonialen Aufstand gegen die Deutschen kam, schickte Bismarck den zum Reichkommissar beförderten Hermann von Wissmann dorthin, der den Aufstand blutig niederschlug. Dabei war das Handelshaus Hansing, vor allem ihr Kommiss Justus Strandes, logistisch behilflich. Die Deutschen führten ein unerbittliches Regime von Zwangsarbeit in ihren eigenen Plantagen ein, was kontinuierliche Kriege von fast 30 Jahren in Ostafrika nach sich ziehen sollte und hunderttausende Zivilist*innen das Leben kostete.
Hamburger Unternehmen auf Sansibar – Hansing, Wm. O'Swald, Adolph Hertz und H. Ad. Meyer – profitierten von den unfreien Arbeitskräften. [11] Hanseatische Kolonialkaufleute waren es auch, die protestierten, als britische Schiffe die Dhows (Schiffe) der sansibarischen Menschenhändler kontrollierten.
Der Oswaldkai würdigt noch heute den Kolonialkaufmann William Henry O’Swald, Hamburger Hafen. Foto: Hannimari Jokinen
Erinnerungskulturen in Deutschland und Tansania
Emily Ruete wurde in der Grabanlage der Familie Ruete auf dem Ohlsdorfer Friedhof bestattet. Das Palastmuseum in Sansibar-Stadt, in dem Ruetes Andenken ein Zimmer gewidmet ist, erwähnt Versklavung mit keiner Silbe. In Deutschland sind Emily Ruete ein Film, Musikprojekte und zwei Romane gewidmet. Auf Sansibar machen Touristikunternehmen mit Sayyida Salmes Namen Geschäfte. So dient ihr posthumes Erinnern ganz unterschiedlichen Zwecken der Lebenden.
Die Literaturwissenschaftlerinnen Kate Roy und Ursula Jäcker analysierten die Nachrufe auf Emily Ruete. Sie fanden heraus, dass manche Widmungen auch heute noch in der Tradition deutschkolonialer Literatur stehen. Die „arabische Prinzessin“ mit ihrer „tragischen Liebesgeschichte“ wurde exotisiert und damit essentialisiert. [12]
Die schwedische Künstlerin Clara Sörnäs erschuf im Jahr 1998 ein Memorial ín Sansibar Stone Town in Erinnerung an den ehemaligen Sklavenmarkt. Foto: Mbz1, Wikimedia Creative Commons CC BY-SA 3.0.
Der Emily-Ruete-Platz wurde umbenannt
Emily Ruete hat Versklavung und Prügelstrafe noch verteidigt, als sich in den meisten europäischen Ländern die Abolition [13] längst durchgesetzt hatte. Sie machte sich zum Spielball deutscher Kolonialinteressen und war darauf bedacht, ihr auf Sklavenarbeit basierendes Vermögen auf Sansibar zurück zu erhalten. Damit erfüllt sie nicht die Kriterien, die eine Ehrung mit einem Straßennamen voraussetzt. Nach Protesten des Arbeitskreises Hamburg Postkolonial hatten die Parteien in Hamburg-Nord ein Einsehen. Heute erinnert der Platz an Teressa, das Kind einer Zwangsarbeiterin in der NS-Zeit, das nur zwei Tage nach der Geburt an Hunger und Vernachlässigung starb.