Mit „Blut und Eisen“ durch Afrika: Hamburgs umstrittener Bismarck-Koloss
Hannimari Jokinen
Hannimari Jokinen ist Künstlerin und Kuratorin. Sie führt seit 2004 beteiligungsorientierte Interventionen im öffentlichen Raum durch, ebenso performative Stadtrundgänge zur Migrations- und Kolonialgeschichte sowie Ausstellungsprojekte, wie etwa afrika-hamburg.de, wandsbektransformance, AWAY IS A PLACE, freedom roads!, ort_m [migration memory]. Hannimari Jokinen ist zudem in Forschung und Lehre tätig.
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Lange war das mit 34 Metern weltgrößte Denkmal des ersten deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck in Hamburg nahezu vergessen, mit Graffiti übersät und umgeben von einem schmuddeligen Park. 2020/21 wird der steinerne Gigant für neun Millionen Euro restauriert und ist auf einmal wieder Gegenstand heftiger Debatten. Was wird da eigentlich aufgehübscht und herauspoliert? Welche Bedeutung hat dieses Denkmal heute, in Zeiten postkolonialer Denkmalstürze? Und warum steht es in Hamburg?
Otto von Bismarck (1815-1898) wurde 1871-1890 erster Reichskanzler, nachdem es ihm in drei europäischen Kriegen gelungen war, das Deutsche Reich zu einigen. Bismarck war ein Antidemokrat, der „große Fragen“ mit „Eisen und Blut“ durchsetzen wollte. Die nationalkonservativen Kreise dankten es ihm posthum: Weltweit wurden über 300 Bismarckdenkmäler errichtet – beispielsweise in Togo, Kamerun und Papua-Neuguinea.
Während Bismarck als europäischer Machtpolitiker und Architekt der deutschen Reichseinigung im kollektiven Gedächtnis immer noch präsent ist, wird seine Rolle für den deutschen und europäischen Kolonialismus oft heruntergespielt.
Lange hatte sich Bismarck vorgeblich zurückhaltend bis ablehnend zum Erwerb von Kolonien geäußert. Dabei ging es ihm keinesfalls um moralische Skrupel, vielmehr zog er die Vorteile des politischen Kolonialismus für das Deutsche Reich in Zweifel. Dennoch betrieb Bismarck bereits seit Mitte der 1870er Jahre Europa-Politik in Afrika. Er verfügte über einen Afrika-Fonds aus Steuermitteln mit bis zu einer Höhe von 200.000 Reichsmark jährlich, aus dem er sogenannte Forschungsreisen – in Wirklichkeit vorbereitende Landeserkundungen zu einer möglichen späteren Kolonisierung – finanzierte. Aus dem Afrika-Fonds wurden solche vermeintlich wissenschaftlichen Expeditionen mehrfach nach Angola, Nord- und Ostafrika, dem Niger und Kongo finanziert. 1876 wurde die „Deutsche Afrika-Gesellschaft“ gegründet, die neben privaten Förderern auch mit Reichsmitteln finanziert wurde [1].
Bismarck und mit ihm die Hamburger Kolonialkaufleute hatten zunächst auf Freihandel und ein informelles Handelsimperium gesetzt. Der Reichskanzler hielt es vorerst nicht für opportun, Kolonien zu gründen, die nach seiner Auffassung dem Reich teuer zu stehen gekommen wären. Mit eigenen paramilitärischen Truppen und brutalen „Strafexpeditionen“ hatten die Hamburger Handelshäuser Land geraubt und die Bevölkerung zur Arbeit in ihren Plantagen gezwungen.
Es waren die Lobbyisten unter ihnen, allen voran der Präses der Hamburger Handelskammer Adolph Woermann, die mit einer „Denkschrift“, mit „Flottenpetitionen“ und häufigen Besuchen auf Bismarcks Anwesen in Sachsenwald den Reichskanzler zur Gründung von Kolonien bedrängten. Mit dem Eintritt des Reichs in eine aktive Kolonisierung wurde der Afrika-Fonds 1887 aufgelöst. Und Bismarck sollte recht behalten: Volkswirtschaftlich gesehen war die Kolonialpolitik des Reichs ein Verlustgeschäft, während es einzelnen Kolonialhandelsherren gelang, große Profite zu erwirtschaften.
Doch als der Widerstand der kolonisierten Bevölkerung wuchs und zudem die Konkurrenz der europäischen Mächte an den Küsten Afrikas immer härter wurde, erkannte die Kaufmannschaft die Notwendigkeit des „Reichsschutzes“ für ihre Geschäftsinteressen.
Margarinewerbung Rositzky & Witt, 1910/1920. Mit dieser Reklamemarke feierten die Altonaer Margarinefabrikanten Rositzky & Witt des Reichskanzlers Denkmal und bedankten sich für den ungehinderten Zugang zum kostengünstigen Palmöl in den Kolonien, ca. 1915. Quelle: Privatarchiv: afrika-hamburg.de, Gemeinfrei
Die Berliner Afrika-Konferenz und die Gründung deutscher Kolonien
Zur Klärung der konkurrierenden europäischen Machtansprüche lud der Reichskanzler zur Berliner Afrika-Konferenz (1884/1885) ein, bei der die Modalitäten für die Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter den reichen Industrienationen beschlossen wurden. Menschen aus afrikanischen Ländern waren nicht eingeladen.
Als Kaiser Wilhelm II. seine neue Flottenpolitik mit der Losung „Deutschlands Zukunft liegt auf dem Wasser“ ankündigte und dabei „Weltgeltung“ für das Deutsche Reich einforderte, war dies Musik in den Ohren der „königlichen“ Hamburger Reeder, Bankiers und Kolonialhandelsherren.
Nach der Berliner Afrika-Konferenz nahm das Deutsche Reich seine Kolonien in Besitz. Die Speicherstadt in Hamburg wurde zum damals weltgrößten Lagerhauskomplex für sogenannte Kolonialwaren ausgebaut. Im selben Jahr trat Hamburg dem Deutschen Zollverein bei, als die Kaufleute erkannten, dass der Beitritt mit erheblichen finanziellen Zuschüssen für weitere Hafenanlagen verbunden war.
In den Gebieten in Afrika, Asien und Ozeanien, die als deutsche Schutzgebiete bezeichnet wurden, ließen Bismarck und die nachfolgenden Reichskanzler Kolonialverwaltungen aufbauen und entsandten vom Hamburger Hafen aus Soldaten, Rüstungsgüter und Kriegsschiffe. Volkswirtschaftlich gesehen waren die Kolonien für das Deutsche Reich ein Verlustgeschäft, aber die Hamburger Handelshäuser konnten satte Gewinne einstreichen.
Was jedoch nicht aufzurechnen ist, sind die Konsequenzen deutscher Kolonialpolitik für die kolonisierten Bevölkerungen, die unter der Fremdherrschaft, systematischer Landnahme, Enteignung, Prügelstrafe und Zwangsarbeit, schließlich unter Vernichtungsfeldzügen, Kriegen bis hin zum Völkermord leiden mussten.
Am Kolonialhandel verdiente auch Bismarck prächtig. Es wird davon ausgegangen, dass der Reichskanzler zusammen mit Adolph Woermann und anderen Hamburger Schnapsfabrikanten ein lukratives Branntweingeschäft mit Afrika betrieb. In den 1880er Jahren bestanden 60 Prozent aller Ausfuhren in die Kolonien aus minderwertigem Alkohol. Spirituosen wurden zum allgemeinen Zahlungsmittel, was mit einer verheerenden Alkoholsucht in weiten Regionen Afrikas einherging. Bismarck torpedierte alle Versuche, Branntweinexporte zu kontrollieren. Die über Jahre ausgeübte Kritik – vor allem von Seiten der Sozialdemokratie im Reichstag und von Missionaren – lief ins Leere [2].
Hamburgs Bismarck-Denkmal: Auch ein Kolonialdenkmal
Vor dem Hintergrund der Gewinne durch den Kolonialhandel wird deutlich, warum ausgerechnet im Stadtstaat Hamburg, der sich ansonsten möglichst gegen preußische Einflüsse wehrte, ein Denkmal zu Ehren Bismarcks errichtet wurde.
Das Hamburger Bismarck-Denkmal, das 1906 auf dem Höhepunkt des hochimperialistischen Zeitalters errichtet wurde, galt als Dank der Hamburger Kaufmannselite für die Gründung von Kolonien und den Ausbau des Hafens. Tatsächlich ist das Monument kein Ausdruck eines entfesselten Hurrapatriotismus für das Deutsche Reich, sondern ein „Instrument [...] aus kühlem kaufmännischem Kalkül“ [3]. Es verwundert kaum, dass sich die Liste der Initiatoren und Großspender wie ein Who is Who der einflussreichen, kolonial tätigen Hamburger Kaufmänner, Bankiers und Reeder liest.
Wer waren die Denkmalsetzer?
Die Initiatoren des Hamburger Bismarck-Denkmals und die Großspender waren einflussreiche, kolonial agierende Kaufmänner, Bankiers und Reeder. Bei der Denkmaleinweihung 1906 standen Senats- und Bürgerschaftsabgeordnete und das kaufmännische Denkmal-Comité einträchtig zusammen mit dem Alldeutschen Verband/Ortsgruppe Hamburg, dessen Mitglieder unter anderem im Deutschen Flottenverein und in der Deutschen Kolonialgesellschaft aktiv waren. Die Alldeutschen, ein einflussreiches Sammelbecken aus Großbürgerlichen, radikalen Nationalisten, Antisemiten und Kolonialenthusiasten, legten einen kolossalen Lorbeerkranz nieder und nutzten auch in der Folgezeit das Monument als Treffpunkt für ihre propagandistischen Zwecke. Ein Großteil der Hamburger Stadtbevölkerung lehnte den Denkmalkoloss jedoch ab, eine Abneigung, die sich in der Öffentlichkeit bis heute erhalten hat.
Johann von Berenberg-Gossler (1839-1913)
Inhaber einer der ältesten Privatbanken, der weltweit agierenden Berenberg Bank. Nachkomme einer alteingesessenen Familie von Tuchhändlern, Reedern, Kolonialkaufleuten und Schiffsversicherern. Das Handelshaus betrieb Geschäfte in Ostasien, Lateinamerika und den USA. Befürworter des Hamburger Zollanschlusses. Seit 1993 ehrt der Berenberg-Gossler-Weg in Niendorf die Bankiersfamilie, die dort über einen umfangreichen Grundbesitz verfügte.
Rudolph Crasemann (1841-1929)
Kolonialkaufmann in Ägypten, Westindien und den Amerikas. Mitglied in der Freihafenkommission, Commerz-Deputation und Bürgerschaft; Verwaltungsrat des Hauptverbands deutscher Flottenvereine im Ausland, einer Mitgliedsorganisation der Deutschen Kolonialgesellschaft. Gegner der Umwandlung des Hamburgischen
Kolonialinstituts in eine Universität.
Siegmund Hinrichsen (1841-1902)
Kaufmann in der damaligen Kolonie Kamerun, Inhaber der Privatbank Hardy & Hinrichsen. Präsident der Bürgerschaft, Präses der Handelskammer. Direktor der Norddeutschen Bank, deren Kerngeschäft der Kolonialhandel war; die Norddeutsche Bank beteiligte sich an der Gründung unter anderem der Deutschen Afrika-Bank (für den Diamantenhandel in der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“), der Brasilianischen Bank für Deutschland und der Bank für Chile und Deutschland. Die Hinrichsenstraße in Borgfelde würdigt den Kolonialkaufmann seit 1948.
Carl Ferdinand Laeisz (1853-1900)
aus der Großreederei F. Laeisz und dem Handelshaus, Kolonialkaufmann, Teilhaber an Plantagen in Kamerun, Chilesalpeterbaron, Großaktionär der Hapag. Bürgerschaftsabgeordneter, Mitglied im Flottenverein und in der Hamburger Abteilung der Deutschen Kolonialgesellschaft, Aufsichtsrat der Norddeutschen Bank, deren Kerngeschäft der Kolonialhandel war. Zuerst lehnte Laeisz den preußischen Einfluss in Hamburg entschieden ab: „Preußen mit seinem Militarismus und seiner pedantischen Buerocratie ist dem Hamburger unsympathisch“. Nachdem der Handelsherr jedoch die Vorteile des neuen Freihafens und der Gründung der Kolonien erkannt hatte, spendete er für das große Bismarck-Denkmal. Und auch die Fassade des eigenen Kontorhauses, des „Laeiszhofes“ am Nikolaifleet, Sitz ebenso der Afrikanischen Frucht-Compagnie, wurde mit einer Bismarck-Figur geschmückt. Die Laeiszstraße in St. Pauli erinnert seit 1861 an die weitere Spendenfreudigkeit der vermögenden Familiendynastie, die den Laeisz-Stift gründete.
Ludwig Julius Lippert (1835-1918)
Kolonialkaufmann, Reeder, Woll-, Dynamit- und Diamantenhändler in Südafrika, Geschäftspartner von Max von Schinckel in der Diamant-Commandit-Gesellschaft. Kolonialpolitiker, Anhänger der Burenrepublik in Südafrika. Mitglied der Bürgerschaft, Förderer des Hamburgischen Wissenschaftlichen Instituts, des Vorgängers des Kolonialinstituts. „Sein Bruder Wilhelm war deutscher Konsul in Kapstadt just zu der Zeit, als das Kaiserreich seine erste Kolonie erwarb, ‚Deutsch-Südwestʼ - also der ‚Verbindungsmannʼ am Kap der Guten Hoffnung für Reichskanzler Otto von Bismarck“ [7].
William Henry OʼSwald (1832-1923)
Kolonialkaufmann in Ostafrika, Honorarkonsul in Sansibar, Senator und Zweiter Bürgermeister in Hamburg. Sein Vater hatte in Westafrika eine Inflation ausgelöst, als er den Markt mit der damaligen Währung Kaurischnecke überschwemmte, die er im Verborgenen von den Seychellen holte. Das Handelshaus OʼSwald & Co. errichtete eine Niederlassung in Sansibar, weitere in Madagaskar und Mombasa. Im sansibarischen Lager der O’Swalds wurden bis zu 400 versklavte Menschen, die vom Landesinneren verschleppt worden waren, zur Arbeit gezwungen [8]. Vom Handelsvertrag, den William Henry OʼSwald mit dem sansibarischen Sultan Mâdjid ibn Saʼid schloss, profitierten vor allem Hamburg, Bremen und Lübeck. Auf seine Initiative hin wurde 1896 die Hamburger Abteilung der Deutsche Kolonialgesellschaft gegründet. Der OʼSwaldkai am Kleinen Grassbrook ehrt den einflussreichen Afrikakaufmann seit 1893.
Rudolph Petersen (1878-1962)
Gründer des Handelshauses R. Petersen & Co, Mitinhaber und Direktor der Norddeutschen Bank, deren Kerngeschäft der Kolonialhandel war. Vorsitzender des Hamburgers Exportvereins und des Verbandes für Groß- und Überseehandel. Erster Bürgermeister, Präsident des Überseeclubs.
Max von Schinckel (1849-1938)
Initiator des Denkmal-Comités für das Hamburger Bismarck-Denkmal. Kaufmann im Chinahandel, Präses der Commerz-Deputation. Direktor der in Hamburg gegründeten Norddeutschen Bank; unter seiner Leitung wurde der Kolonialhandel zum Kerngeschäft. Als Vorstand der Berliner Disconto-Gesellschaft leitete er die Fusion beider Banken ein. Das Konsortium spielte eine maßgebliche Rolle als Financier des Kolonialkriegs in „Deutsch-Südwestafrika“ und des Völkermords an den Ovaherero und Nama. Die Deutsche Bank, ab 1929 Rechtsnachfolger der Disconto-Gesellschaft, wird heute von den Opferverbänden der Ovaherero und Nama auf Entschuldigung und Entschädigung verklagt.
Edmund Siemers (1840-1922)
Kolonialkaufmann, Reeder, Bankier, Salpeterbaron in Nordchile, Urwaldbesitzer in Paraguay, Petroleum-Tycoon, genannt der „Carnergie von Hamburg“. Wegen undurchsichtiger Grundstücksspekulationen in der Mönckebergstraße in Verruf geraten [9]; Stifter des Vorlesungsgebäudes für das Kolonialinstitut. Die Edmund-Siemers-Allee würdigt den Kaufmann seit 1907.
Ernst Friedrich Sieveking (1836-1909)
Jurist, Senator und Oberlandesgerichtspräsident, aus einer alteingesessenen Kolonialkaufmannsdynastie stammend. Der Sievekingsplatz vor dem Oberlandesgericht in der Neustadt ehrt den Juristen.
Johannes Versmann (1820-1899)
Anwalt, Erster Bürgermeister, Vertreter beim Bundesrat des Norddeutschen Bundes in Berlin; Ehrenvorsitzender des Denkmal-Comités für das Bismarck-Denkmal. In der Frage des Zollanschlusses gelang Versmann in zähen Verhandlungen mit Bismarck der schwierige Kompromiss.
Adolph Woermann (1847-1911)
Kaufmann, damals weltgrößter Privatreeder, Präses der Handelskammer. Kolonialpolitiker, Reichstagsabgeordneter, Vorstandsmitglied und Großaktionär an zahlreichen Kolonialunternehmen. Woermann gilt ab 1884 als „Begründer“ der deutschen Kolonie Kamerun. In seinen riesigen Plantagen am Kamerunberg wurde die kolonisierte Bevölkerung zur Zwangsarbeit getrieben. Seine Privatarmee unterdrückte antikoloniale Aufstände mit der Politik der Verbrannten Erde. Für die Verschiffung von Kolonialsoldaten und Kriegsrüstung ab
Hamburg-Baakenhafen hatte Woermann eine quasi Monopolstellung, und er verlangte dafür überhöhte Frachtkosten. In der Kolonie „Deutsch-Südwestafrika“ profitierte der Kaufmann vom Völkermord an den Ovaherero und Nama. Als die Überlebenden des Vernichtungsfeldzugs aus der Wüste zurückkehrten, errichtete Woermann private Konzentrationslager, aus denen er Menschen zur Zwangsarbeit auf seinen Schiffen und zur Arbeit für die Otavi Minen- und Eisenbahn-Gesellschaft OMEG holte, die u. a. die Norddeutsche Affinerie (heute: Aurubis) auf der Veddel mit Kupfer belieferte. Allein für den April 1906 sind in der OMEG-Kupfermine 620 Kinder, 700 Frauen und 900 Männer als Zwangsarbeiter*innen dokumentiert [10]; zahlreiche Gefangene wurden für den Eisenbahnbau in die Wüste deportiert. Woermann betrieb ein lukratives Schnapsgeschäft nach Afrika, und es kann davon ausgegangen werden, dass auch Bismarck daran gut verdiente [11]. Für den Woermannsweg und den Woermannsstieg in Hamburg-Nord ist nach dem Beschluss der Bezirksversammlung die Straßenumbenennung anhängig. Die Nachkommen der Opferverbände der Ovahererero und Nama haben neue Namensgeber*innen vorgeschlagen.
Dabei vermittelt der als Roland dargestellte Bismarck eine bewusst doppelbödige Botschaft: Auf den ersten Blick scheint das Denkmal preußische Reichstreue zu beschwören. Im Gegensatz dazu steht die eingebaute Symbolik mit der Figur des mittelalterlichen Helden Roland als Schutzpatron von Handelsfreiheit und großbürgerlichen Kaufmannsinteressen.
Von seiner Höhenlage über dem Elbstrom hinunter sollte der steinerne Bismarck „die Wacht nach dem Weltmeer“ [4] halten mit einem „stolzen Ausblick aus dem Mittelpunkte der Stadt in den Weltverkehr“ [5]. Nicht zufällig schaut der mächtige Wächter über die ebenso modernistische Architektur des Anlegers Landungsbrücken hinweg, von dem aus die Schiffe die Ozeane befuhren. An der Jugendstil-Fassade der Gebäude des Anlegers sind überlebensgroße rassistisch-exotisierende Steinfiguren angebracht, die die Kontinente Afrika, Asien und die Amerikas symbolisieren, die von Hamburg aus kolonisiert wurden.
Das Bismarck-Denkmal steht am östlichen Ende der sogenannten Hafenkrone, die als städtebaulich geschlossene Zeile repräsentativer Bauten auf dem Elbhang eng mit Hamburgs kolonialer Seefahrt verbunden ist: Dort finden sich auch die einstige Deutsche Seewarte, die damaligen maritimen Forschungseinrichtungen, die Navigationsschule und das Bernhard-Nocht-Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten.
Das Hamburger Riesendenkmal war von Anfang an umstritten. Der Einweihung 1906 blieb die Arbeiterschaft fern, während völkische Verbände Bismarck zum Helden hochstilisierten und den Elbpark für ihre ritualisierten Versammlungen okkupierten.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im Park eine große Anzahl fast ausgewachsener Bäume gepflanzt, um das überkommene Symbol den Blicken der Öffentlichkeit zu entziehen. In der Ära des Senats aus CDU mit der rechtspopulistischen Schill-Partei (2001-2003) wurde das Standbild illuminiert und Bismarck-Verehrer ließen die hochgewachsenen Bäume wieder kürzen, um Sichtachsen zu schaffen. Bei der Einweihung der Neugestaltung kam es zu einem Aufmarsch rechter Burschenschaftler und Neonazis. 2014/2019 beschloss die Hamburgische Bürgerschaft, das Bismarckdenkmal und den Alten Elbpark instand zu setzen.
Die Baumaßnahme begann im März 2020 und soll Ende 2021 abgeschlossen werden. Diese Baumaßnahmen sind begleitet von heftigen Debatten. Damit werden die aufwändigen Restaurationsarbeiten des Bismarckdenkmals auch zu einem Gradmesser, wie ernst es der Stadt Hamburg mit der „Aufarbeitung des kolonialen Erbes“ und dem „Neustart in der Erinnerungskultur“ ist, zu der sich die Stadt explizit verpflichtet hat. 2013 wurde dafür eine Forschungsstelle an der Universität geschaffen, 2017 ein Runder Tisch „Koloniales Erbe“ ins Leben gerufen. 2019 konstituierte sich der Beirat zur Dekolonisierung Hamburgs bei der Hamburger Behörde für Kultur und Medien.
Es mag erstaunen, doch den bisherigen Entscheidungsgrundlagen der Bürgerschaft [6] fehlt gänzlich die Betrachtung von Bismarcks Rolle in der Globalgeschichte. Die zivilgesellschaftlichen Initiativen sehen es als dringend notwendig an, auch die kolonialhistorischen Beweggründe der Errichtung des riesigen Bismarck-Denkmals am „Tor zur Welt“ zu durchleuchten. Erst mit einer solchen globalhistorischen Analyse lässt sich die Bedeutung des Monuments in seiner Gesamtheit verstehen, debattieren und ein angemessener Umgang mit ihm begründen.
Die
Initiative Decolonize Bismarck
fordert einen Baustopp und eine neue Diskussion mit maßgeblicher Beteiligung der Nachkommen der Kolonisierten, um zu vermeiden, dass Kolonialismus und damit auch Rassismus reproduziert werden.
[2] Bade, Klaus J.: Friedrich Fabri und der Imperialismus der Bismarckzeit. Revolution - Depression – Expansion, 1975/2000. S. auch http://www.afrika-hamburg.de/bismarcke.html (15.08.2020); s. auch Friedrich Engels, der über die ostpreußischen Junker und Schnapsbrenner schrieb: „Wohin wir uns wenden, überall finden wir preußischen Sprit. ... Kartoffelsprit ist für Preußen das, was Eisen und Baumwollenwaren für England sind, der Artikel, der es auf dem Weltmarkt repräsentiert.“, in: „Preußischer Schnaps im Deutschen Reichstag“. Online-Quelle:
http://www.mlwerke.de/me/me19/me19_037.htm (15.08.2020)
[3] Wiborg, Susanne: „Der größte Bismarck der Welt. Denkmale als Wirtschaftsfaktor: Wie es Hamburgs Kaufleuten um 1900 gelang, sich mit kolossalen Monumenten die Gunst von Kaiser und Reich zu sichern“, ZEIT 01.06.2006. Online-Quelle:
https://www.zeit.de/2006/23/A-Denkmal_xml/komplettansicht (15.08.2020)
[4] Donandt, Rainer: „Franz Andreas Meyer, der Erbauer der Speicherstadt“, in: Jörg Schilling (Hrsg.): Das Bismarckdenkmal in Hamburg 1906-2006, Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Hamburg Nr. 24, Kulturbehörde Hamburg/Denkmalschutzamt, Hamburg 2006, S. 49
[5] Meyer, Franz Andreas: Bericht an Senator Predöhl, 3.11.1900, Staatsarchiv Hamburg, Bismarck-Denkmal-Comite, A 2, Bd. 2, 194, S. 1-10, in: Schilling a.a.O., S. 33
[8] Evers, Karl: „Das Hamburger Zanzibarhandelshaus Wm O'Swald & Co 1847-1890. Zur Geschichte des Hamburger Handels mit Ostafrika“, Diss. Universität Hamburg 1986, S. 201. "Sklavenarbeit bildete die Basis des gesamten O'Swaldschen Handelsbetriebes auf Zanzibar.", S. 206.
[9] Gerhardt, Johannes: „Wohltätigkeit und Eigeninteresse: Edmund Siemers und die Motive des Stiftens“. Online-Quelle:
https://netzwerk.hypotheses.org/2281 (19.08.2020)
[10] Drechsler, Horst: Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft, Bd. 2, Berlin 1996.