Deutschland verlor durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg seine Kolonien. Welche Folgen hatte das – für die Bevölkerung insgesamt, aber auch konkret für in Deutschland lebende Schwarze [1] Menschen? Ein wichtiges historisches Ereignis ist in diesem Zusammenhang die Gründung des Afrikanischen Hilfsvereins 1918 in Hamburg. Dieser Beitrag zeichnet die Geschichte des Vereins nach.
Bereits um die Jahrhundertwende hatten sich Vertreter*innen aus den von Deutschland kolonisierten Ländern für eine Stärkung ihrer Rechte und gegen die brutale Praxis des deutschen Kolonialregimes eingesetzt. Delegationen aus Kamerun und Togo reisten nach Berlin, um die deutsche Kolonialherrschaft anzuprangern und Petitionen an den Reichstag zu richten. In Hamburg erregte der Deutsch-Kameruner Mpundo Akwa zwischen 1905 und 1909 mehrfach Aufsehen, der sich gegen rassistische Verleumdung juristisch zur Wehr setzte, und den pro-kolonialen Autoritäten ein Dorn im Auge war.
Neue Lebensrealitäten in der Weimarer Republik
Der Versailler Vertrag von 1919 ordnete die Welt nach dem Ersten Weltkrieg ein Stück weit neu und auch für Schwarze Menschen in Deutschland veränderten sich die Lebensumstände. Auch zuvor hatten Afrikaner*innen aus Kamerun, Togo oder Tansania als „Angehörige der deutschen Schutzgebiete“ zwar nur eingeschränkte Rechte, waren aber als Deutschland Zugehörige wahrgenommen und auch von den Behörden so behandelt worden. Nach Kriegsende befanden sich nun viele in der Situation eines unklaren bzw. ungewollten Aufenthaltsstatus. Kamen sie aus den von Frankreich oder Großbritannien übernommenen Mandatsgebieten, so erhielten sie entsprechend die französische oder britische Staatsangehörigkeit, obgleich sie mit diesen Ländern bisher nichts zu tun hatten oder auch die Sprache nicht beherrschten.
Aufgrund der veränderten, im Prinzip verschlechterten Umstände begannen Afrikaner*innen, Afro-Amerikaner*innen und Schwarze Deutsche in der Weimarer Republik sich selbst zu organisieren und begriffen sich zunehmend selbst als „Schwarz“ und als Kollektiv. Die globalen Entwicklungen, die unter anderem dazu führten, dass 1919 der erste Panafrikanische Kongress in Paris stattfand, prägten also auch die neuen Lebensrealitäten und -identitäten von Schwarzen Menschen in Deutschland. Ebenfalls 1919 hatten in Deutschland lebende Schwarze, darunter zahlreiche Mitglieder des Afrikanischen Hilfsvereins, unter Führung des in Berlin lebenden Deutsch-Kameruners Martin Dibobe eine Eingabe an die Weimarer Nationalversammlung verfasst. Sollte die deutsche Kolonialherrschaft in Afrika fortgesetzt werden, so forderten sie Gleichberechtigung und Selbständigkeit der Afrikaner*innen in den Kolonien sowie in der Metropole. [2]
Der Afrikanische Hilfsverein e.V.
Noch vor Ende des Ersten Weltkrieges wurde am 1. Mai 1918 in Hamburg der Afrikanische Hilfsverein e.V. gegründet, ein Zusammenschluss von in Deutschland lebenden Schwarzen größtenteils, aber nicht ausschließlich aus den ehemaligen deutschen Kolonien in Afrika. Er diente der Vernetzung und praktischen gegenseitigen Hilfe von in Deutschland lebenden Afrikaner*innen, die mit ähnlichen, aufenthaltsrechtlich unsicheren Lebensbedingungen und Rassismuserfahrungen zu kämpfen hatten. Der Großteil der mindestens 32 Mitglieder lebte in Hamburg und Berlin, doch scheint es auch gelungen zu sein, Menschen aus anderen deutschen Städten mit Hilfe des Vereins zu vernetzen. So finden sich in der Mitgliederliste Adressen in Tussenhausen, Zoppot, Köln, Breslau, Marggrabowa (heute Olecko), Herne, Potsdam, Rostock und Dülmen. [3]
Laut Statut verstand sich der Afrikanische Hilfsverein explizit als unpolitisch, er sollte als Netzwerk der gegenseitigen Unterstützung und Solidarität fungieren mit dem Zweck „für alle in Deutschland lebenden Afrikaner eine Zentralstelle und damit eine Stütze zu schaffen, die, soweit es überhaupt möglich ist, die Stammesgemeinschaft und die Familie der Heimat ersetzt“. [4] Der Verein war offiziell unter der Adresse der Import-Export-Firma des Deutsch-Kameruners Peter Makembe am Dammtorwall 113 gemeldet, die Treffen fanden in Makembes Wohnung nebenan statt. [5] Die Gründungsmitglieder wollten über den Verein Beistand in Krankheits- und Sterbefällen organisieren und einander über Jobmöglichkeiten informieren.
An den Zielen des Vereins lässt sich erkennen, mit welchen Problemen die Mitglieder in der Weimarer Zeit zu kämpfen hatten. Neben fehlender Arbeit und sozialer Absicherung war auch der Kontakt zu ihren Familien und Freund*innen in ihren afrikanischen Herkunftsländern erschwert, weshalb der Verein auch als „Nachrichtenstelle“ dienen sollte, „durch die die Angehörigen in Afrika immer den Aufenthalt ihrer hier in Deutschland lebenden Familienmitglieder erfahren können“. [6] Laut §10 soll der Verein „als Rechtsschutz für seine Mitglieder eintreten und nach gewissenhafter Prüfung der Sachlage den häufig sprach- und gesetzunkundigen Landsleuten mit Rat und Tat zur Seite stehen“ [7], was davon zeugt, dass die Vereinsmitglieder besonders Gefahr liefen im Umgang mit staatlichen Institutionen, Arbeitgeber*innen oder Vermieter*innen unrechtmäßig behandelt oder benachteiligt zu werden. Die Selbstidentifikation als Kollektiv von „Afrikaner[n]” oder sogar „Landsleuten“ lässt sich als Ausdruck von geteilten Erfahrungen lesen, die Schwarze in Deutschland zu dieser Zeit machten und die sie dazu brachten, sich gemeinsam zu organisieren.
Eine dieser negativen Erfahrungen wird im Statut des Vereins konkret benannt, denn der Verein solle nach seinem letzten §11 weiterhin dazu dienen, „das Gefühl der Vereinsamung inmitten der weißen Bevölkerung von uns [zu] nehmen“. [8] Mitglied könne schließlich „jeder Angehörige unserer schwarzen Rasse und jeder Farbige werden“. [9] Die Identifizierung als Schwarzes Kollektiv, dass sich in einer weiß dominierten Gesellschaft behaupten und organisieren muss, weist bereits über die offizielle Darstellung eines gänzlich unpolitischen Vereins hinaus und lässt sich in die globale Entstehung des Panafrikanismus und antikolonialer Bewegungen wie der späteren Befreiungsbewegungen einordnen.
Protest gegen rassistische Hetze
Der Einsatz von afrikanischen Soldaten in der französischen Armee, die nach Kriegsende im Rheinland stationiert war, führte zu einer ungekannten landesweiten rassistischen Hetzkampagne gegen Schwarze Soldaten unter dem Stichwort der „Schwarzen Schmach am Rhein“. Unzählige Lügen und rassistische Darstellungen wurden in Worte und Bilder gegossen und nicht nur landesweit, sondern auch international verbreitet. Diese Hetzkampagne hatte auch Auswirkungen auf Schwarze Menschen, die in anderen Teilen Deutschlands lebten, und führten zu Anfeindungen, Beleidigungen und physischen Übergriffen. So protestierte Louis Brody im Namen des Afrikanischen Hilfsvereins 1921 öffentlich gegen diese Kampagne und ihre Folgen in der Berliner Zeitung: „Wir möchten auch noch ganz besonders erwähnen, daß wir nicht die unmoralische und unkultivierte Rasse sind, wie in Deutschland jetzt allgemein behauptet wird. […] Die Schwarzen, die sich in Berlin und in den nicht besetzten Gebieten Deutschlands aufhalten, stammen aus den ehemaligen deutschen Kolonien […]. Wir bitten deshalb die Deutschen, Rücksicht zu nehmen und nicht fortwährend durch Berichte über die Schwarze Schmach gegen sie zu hetzen.“ [10]
Der Afrikanische Hilfsverein existierte einige Jahre und war für die einzelnen Mitglieder von großem praktischen Nutzen. Die Lebensbedingungen Schwarzer Menschen verschlechterten sich jedoch im Verlaufe der 1920er Jahre stetig und viele der Mitglieder des Vereins waren so sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt, dass die Vereinstätigkeiten zusehends spärlicher wurden. Aufgrund der spärlichen Quellenlage sind die späteren Jahre des Afrikanischen Hilfsvereins schwer zu rekonstruieren. Spätestens 1924/25 hörte der Verein auf zu existieren. [11]
Auch wenn der Afrikanische Hilfsverein seine selbst formulierten Ziele nur in begrenztem Maße erreichen konnte, so stellt er doch ein frühes Beispiel für die widerständige Selbstorganisierung Schwarzer Menschen in Hamburg und Deutschland dar. Bis heute ist Rassismus ein Problem der deutschen Gesellschaft, was nicht zuletzt in den Protesten von Geflüchteten oder der internationalen Black-Lives-Matter-Bewegung in den vergangenen Jahren sichtbar wurde. Auch in Hamburg haben Gruppen wie Lampedusa in Hamburg Widerstand gegen ihre Entrechtung geleistet. Die Gruppe besteht aus etwa 300 Menschen, die vor dem Bürgerkrieg in Libyen nach Europa geflohen und über Italien nach Deutschland gekommen sind. Zwar sind Schwarze Widerstandsbewegungen wie etwa die Bürgerrechtsbewegung in den USA der 1950er und 1960er Jahre und die Befreiungsbewegungen in Afrika und Asien bekanntere Beispiele, doch auch in Deutschland und der Stadt Hamburg hat anti-kolonialer und anti-rassistischer Widerstand von Schwarzen Menschen eine lange Geschichte, die sichtbar, erinnert und gewürdigt werden sollte.
März 2021
[1] Ich verwende die Begriffe ‚weiß‘ und ‚Schwarz‘ nicht als Beschreibungen von ‚Hautfarben‘, sondern als politische und damit strategische Begriffe, die Machtstrukturen und soziale Positionen innerhalb einer rassifizierten Gesellschaft beschreibbar machen sollen. Es handelt sich um Konstruktionen, die jedoch in der sozialen Realität wirkmächtig sind, was durch Kursiv- bzw. Großschreibung deutlich gemacht werden soll.
Durch die selbstermächtigende Verwendung des Begriffs ‚Schwarz‘ beinhaltet der Begriff im Gegensatz zum Begriff ‚weiß‘ ein Widerstandspotenzial, welches durch die ungleiche Schreibweise der beiden Begriffe sichtbar gemacht werden soll.
[2] Petitionen von Martin Dibobe et. al. am Kolonialamt und an der Nationalversammlung (1919). BArch R1001 7220, Bl. 130-1, 231
[3] Staatsarchiv Hamburg 331-3 SA2819
[4] Ebd.
[5] Vgl. Robbie Aitken und Eve Rosenhaft: Black Germany. The Making and Unmaking of a Diaspora Community 1884-1960, Cambridge 2013, S. 130.
[6] Ebd.
[7] Ebd.
[8] Ebd.
[9] Ebd.
[10] Aufruf des „Afrikanerbunds“ [gemeint ist der Afrikanische Hilfsverein] an die deutsche Öffentlichkeit, in: Berliner Zeitung am Mittag 44/118, 24.5.1921.
[11] Vgl. Peter Martin und Christine Alonzo: Im Netz der Moderne. Afrikaner und Deutschlands gebrochener Aufstieg zur Macht, Hamburg 2012, S. 202.